Nachruf auf Wolfgang Priester

22. 4. 1924 – 9. 7. 2005
(von Professor Wolfgang Kundt)
Wolfgang Priester, der Gründungsdirektor des Bonner Instituts für Astrophysik und Extraterrestrische Forschung (IAEF), ist am 9. Juli 2005 binnen weniger Stunden im Alter von 81 Jahren an Herzversagen gestorben. Wir alle haben an ihm einen stets väterlich sorgenden, stets wissenschaftlich anregenden, wohlwollend lenkenden Institutsleiter verloren. Weit über sein Emeritierungsalter hinaus hat er aktiv am Schicksal der Bonner und der deutschen Astrophysik mitgewirkt, und erst in seinem letzten Lebensjahr zwangen ihn eine Reihe kleiner Unpäßlichkeiten, gelegentliche Abstriche an seinem geplanten Tagespensum vorzunehmen. Sein Einfluß auf die Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts wird noch lange nachwirken.
Wolfgang Priester beim Festkolloquium am 23. April 2004 aus Anlaß seines
80. Geburtstages
Geboren 1924 in Detmold, studierte Wolf Priester Astronomie, Physik und Mathematik in Göttingen ab 1946, d.h. unmittelbar nach Kriegsende, und promovierte dort 1953 mit einer Arbeit zum Strahlungstransport der Natrium-D-Linie. Nach zwei Jahren als Assistent bei Albrecht Unsöld in Kiel kam er dann 1955 an die Bonner Sternwarte in der Poppelsdorfer Allee, zunächst als Assistent von Friedrich Becker, wo er sich 1958 habilitierte mit einer Arbeit zur ‚Statistik der Radioquellen in der relativistischen Kosmologie’. Dort beteiligte er sich maßgeblich am Bau des 25m-Radioteleskops auf dem Stockert, erstellte 1956 mit Franz Dröge die ‚Bonner Radio-Durchmusterung’ – eine Radiokarte des Himmels bei 200 MHz – und verfolgte rechnerisch die Bahn des im Oktober 1957 gestarteten russischen Satelliten Sputnik, was ihm 1962-64 eine Einladung der NASA als Visiting Scientist ans Goddard Space Flight Center und in New York City einbrachte, als Experten der irdischen Hochatmosphäre. Zusammen mit Isidor Harris entstanden 1962 und 1963 zwei führende Arbeiten zur Theorie der Hochatmosphäre, unter Berücksichtigung der Sonnenaktivität.
In Bonn hatte Priester bereits 1962 eine Professur bekommen. Bei Goddard erreichte ihn dann der Ruf auf einen in Bonn neu eingerichteten Lehrstuhl für Astrophysik, den er sogleich (1964) annahm und um die ‚Extraterrestrische Forschung’ erweiterte. Im selben Jahr noch initiierte er, zusammen mit Becker und Otto Hachenberg (vom Institut für Radioastronomie), den Bau des 100-m-Teleskops in Effelsberg, des größten frei schwenkbaren Radioteleskops der Welt, das 1972 in Betrieb genommen wurde. Gleichzeitig half er bei der Gründung des Bonner Max-Planck-Instituts für Radioastronomie, das 1973 fertiggestellt wurde, im Verbund-Gebäude mit den Astronomischen Instituten der Universität, auf dem Hügel 69-71.
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Zu den ehrenden Berufungen der Folgejahre zählen seine Tätigkeit als Dekan der Bonner mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät (1970-71) und als steuerndes Mitglied bei COSPAR (Committee of Space Research), seine Beratertätigkeit beim Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft in der Kommission für Weltraumforschung und die Mitgliedschaft in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (ab 1973), der Vorsitz beim Rat Westdeutscher Sternwarten (1974-76), die Tätigkeit als auswärtiges wissenschaftliches Mitglied in der Max-Planck-Gesellschaft (seit 1974), der Vorsitz der Astronomischen Gesellschaft (1975-78) und das Amt des Sprechers des Sonderforschungsbereichs Radioastronomie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) (1977-1989).
Priesters Verständnis der Astrophysik ist breit gefächert. Frühzeitig erkannte er die Wichtigkeit der Synchrotronstrahlung für die Astrophysik: die ‚gelbgrüne’ Broschüre von Pfleiderer et al (1973) hat mehreren von uns als Einführung und ständiges Nachschlagewerk gedient. Bei dem Akronym ‚Quasar’ (= Quasi-Stellar Radio Source) hat Wolf Priester Pate gestanden – ‚Quastar’, der 1. Vorschlag, war bereits vergeben – bevor er über die New York Times vervielfältigt wurde. Namhafte auswärtige Wissenschaftler zog er gastweise nach Bonn, wie Isidor Harris, Bob Jastrow, Maurice M. Shapiro und (wiederholt) Thomas Gold.
Das gute Arbeitsklima im eigenen Hause äußerte sich u.a. in der Produktivität seiner (z.T. zeitweisen) Mitarbeiterschar: Peter Biermann, Mike Bird, Hans-Joachim Blome, Peter Blum, Hans Jörg Fahr, Michael Grewing, Walter Köhnlein, Wolfgang Kundt, Günter Lay, Jörg Pfleiderer, Gerd Prölss, Max Römer, und Hans Volland gehörten dazu, später auch noch Josef Hoell, Carsten van de Bruck und James Overduin. Vier der C3-Professoren unter ihnen sind inzwischen mehrfache Buchautoren. Anläßlich seines 65. Geburtstages veröffentlichten die ‚Naturwissenschaften’ acht Beiträge aus dem Kreis seiner Mitarbeiter (Kundt, 1989), deren Thematiken sich von der Geophysik über magnetische Dynamos, die obere Atmosphäre, die Heliosphäre und die Milchstraße bis zu den fernen Galaxien und der Kosmologie erstreckten; sogar digitale Bildverarbeitung war eines der Themen. Priester nahm aktiv an allen (wöchentlichen) Seminaren und Kolloquien teil; er unterstützte unabhängige Denker.
Priesters Hörsäle waren stets voll. Er wußte, welche Höchstzahl von Folien man pro Stunde präsentieren darf, und unter welche Mindestgröße man bei den Figurenbeschriftungen nicht gehen sollte, um gut leserlich zu bleiben. Er war ein beliebter Redner, in dessen Vorträgen sich niemand langweilte. Und er plante alle wichtigen Termine rechtzeitig.
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Nach seiner Emeritierung (im Jahre 1989) konzentrierte sich Wolf Priester vornehmlich auf kosmologische Probleme, und sah in dem ‚Ly-α-Wald’ der Quasar-Wasserstoff-Absorptionslinien eine unabhängige kosmische Zeitskala. Hiermit konnte er u.a. die Frage nach der Realität der kosmologischen Konstante Λ angehen – in Einsteins eigenen Worten die größte Eselei seines Lebens – und dieser lange verschmähten Größe Ansehen und neue Aktualität verschaffen. (Inzwischen hat sie Mike Turner in ‚dunkle Energie’ umgetauft, obwohl sie sich von einer Energiedichte im Vorzeichenverhältnis zu ihrem Druck unterscheidet). Auf jeden Fall haben seine kosmologischen Überlegungen Einzug in die Lehrbuchliteratur und in führende Journale gefunden, siehe die Zitate von Blome et al (1997/2002) und von Overduin & Priester (2001). Und noch in den letzten Monaten seines Lebens, im Alter von 80 Jahren, war er geschätzter Redner auf Maurice Shapiros internationaler Sommerschule in Erice und auf dem 11. Bad Honnefer Winterseminar zu Problemen der Kosmischen Evolution.
Vor allem aber verstand es Wolf Priester, sich Freunde zu machen. Er ‚regierte’ ohne Gewalt, mit Geschick und Güte, sowie in Harmonie mit seiner Frau Gisela und ihrem Sohn Achim. Und er achtete die Meinung des Gegenüber. Wissenschaftliche Unstimmigkeiten wurden nicht durch Strenge beseitigt, sondern durch klärende Diskussionen. „When you are sure you are right, stick your neck out” war sein persönlicher Rat. Allen, die ihn kannten, wird er als ein seltenes Vorbild in Erinnerung bleiben.

Einige Zitate:

  • Blome, H.-J., Hoell, J., Priester, W., 1997/2002: Kosmologie, in: Lehrbuch der Experimentalphysik, Hg. L. Bergmann & C. Schäfer, Bd. 8, Berlin: W. de Gruyter, 311-427
  • Dröge, F., Priester, W., 1956: Durchmusterung der allgemeinen Radiofrequenzstrahlung bei 200 MHz, Z. f. Astrophys. 40, 236
  • Harris, I., Priester, W., 1962: Time-dependent Structure of Upper Atmosphere, J. Atmospheric Sci. 19, 286
  • Harris, I., Priester, W., 1963: Relation between theoretical and observational models of the upper atmosphere, J. Geophys. Res. 68, 5891
  • Kundt, W., 1989, editor of: Brennpunkte astrophysikalischer Forschung, Wolfgang Priester zum 65. Geburtstag gewidmet, Naturwissenschaften 7, 289-324
  • Overduin, J., Priester, W., 2001: Problems of Modern Cosmology: how dominant is the vacuum? Naturwissenschaften 88, 229-248
  • Pfleiderer, J., Priester, W., Köhnlein, W., 1973: Processes of Continuous Radio Emission, in: Lectures on Space Physics 2, eds. Anton Bruzek & Hartmut Pilkuhn, Bertelsmann, 127-193

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