Sternentstehung: Physikalische Grundlagen

Astrophysik und insbesondere Astronomie beschäftigen sich zu großen Teilen mit den Eigenschaften von Sternen. Grund genug, sich in einer kleinen Reihe von Beiträgen etwas näher mit der Entstehung von Sternen zu beschäftigen. Eine Reihe deshalb, weil das Thema zu umfangreich ist, um es in einem Rutsch abhandeln zu können. Etappen bei unserer Reise werden sein:

0. Physikalische Grundlagen
1. Der Beginn: Kollaps von Gaswolken
2. Bildung des Protosterns
3. Zündung der Kernfusion als Energiequelle
4. Stabilitätsbedingungen von Sternen

Dem liegt zugrunde, dass Sterne aus interstellaren (außerhalb von Sonnensystemen befindlichen) Gaswolken entstehen, die sich durch ihre Eigengravitation zusammenziehen und dabei die Fusion von Wasserstoffkernen zu Helium als Energiequelle des entstehenden Sterns zünden.

In dieser ersten Folge soll es also um einige physikalische Grundlagen der Sternentstehung gehen.

Zwei physikalische Gesetze spielen eine Hauptrolle in der ersten Phase der Sternentstehung: die kinetische Gastheorie und das Gravitationsgesetz. In einem späteren Stadium der Sternentstehung ist dann das Wechselspiel von elektromagnetischen und Kernkräften wichtig, um den Ablauf von Kernfusionen zu verstehen.

Die Kinetische Gastheorie

Gase sind dadurch ausgezeichnet, dass ihre atomaren Bestandteile (Atome, Moleküle) in ständiger ungerichteter Bewegung sind („ungerichtet“ heißt: sie haben keine Vorzugsrichtung, in der sie sich bewegen; alle Richtungen sind gleich wahrscheinlich). Sie flitzen mehr oder weniger schnell in alle Richtungen in der Gegend herum. Allerdings haben nicht alle Gasteilchen die gleiche Geschwindigkeit: sie stoßen immer wieder zusammen und können dabei Bewegungsenergie (kinetische Energie) unter Einhaltung des Energieerhaltungssatzes aufeinander übertragen. Betrag und Richtung der Teilchengeschwindigkeiten ändern sich dabei normalerweise. Das sorgt dafür, dass sich eine Geschwindigkeitsverteilung einstellt; d.h.: die Geschwindigkeit eines Teilchens liegt mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines Geschwindigkeitsintervalls; nicht alle Teilchen haben dieselbe Geschwindigkeit.

Simulation der ungerichteten Bewegung von Gasteilchen

Simulation der ungerichteten Bewegung von Gasteilchen und der resultierenden Geschwindigkeitsverteilung (Wahrscheinlichkeit, dass ein Gasteilchen einen bestimmten Geschwindigkeitsbetrag besitzt); Quelle: englischer Wikipedia-Beitrag „Maxwell-Boltzmann distribution“

Die Geschwindigkeitsverteilung unterliegt einem grundlegenden physikalischen Gesetz: der Maxwell-Boltzmann-Verteilung. Sie zeigt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der mittleren Geschwindigkeit bzw. der mittleren kinetischen Energie der Teilchen und der Temperatur des Gases gibt: Die Gastemperatur ist proportional zur mittleren kinetischen Energie der Gasteilchen und damit zum Quadrat der Teilchengeschwindigkeit.

Geschwindigkeitsverteilung von Gasteilchen bei verschiedenen Temperaturen

Geschwindigkeitsverteilung von Gasteilchen bei verschiedenen Temperaturen (Quelle: https://pawn.physik.uni-wuerzburg.de/video/thermodynamik/k/sk10.html)

Zu der völlig ungerichteten (Temperatur)Bewegung der Gasteilchen kann eine gerichtete Vorzugsbewegung größerer Teile des Gases kommen. Das entspricht großräumigen Strömungen innerhalb des Gases, die sich der Temperaturbewegung überlagern. Wind beispielsweise ist eine gerichtete Bewegung der Luftmoleküle, die der Temperaturbewegung überlagert ist. Übrigens: Wind wirkt auf uns Menschen nicht deshalb kühler, weil er eine geringere Temperatur als ruhende Luft hat, sondern weil er kühle Luft an die warme Haut bringt und die Haut durch Verdampfung von Schweiß zusätzlich kühlt.

Ist das Gas in einem Behälter eingeschlossen, stoßen die Teilchen immer wieder an die Wände und werden zurückgeworfen. Durch den Rückprall wird eine Kraft auf die Wandfläche ausgeübt, was gleichbedeutend damit ist, dass ein Druck auf die Wand einwirkt. Das für die Sternentstehung wichtige interstellare Gas ist jedoch nicht in einem Behälter gefangen. Grundsätzlich können sich die Teilchen immer weiter von der Gaswolke entfernen, da am Rand der Wolke die Dichte des Gases relativ klein ist und Zusammenstöße der Gasteilchen unwahrscheinlicher werden.

Wieso kann sich unter diesen Umständen ein Stern aus der Gaswolke bilden? Hier kommt das Gravitationsgesetz ins Spiel.

Das Gravitationsgesetz

Für die Diskussion der Sternentstehung ist es ausreichend, das klassische Newton’sche Gravitationsgesetz zu betrachten (Effekte der Einstein’schen Allgemeinen Relativitätstheorie spielen keine wesentliche Rolle). Newtons Gravitationsgesetz besagt, dass zwei massebehaftete Körper eine Kraft (Gravitationskraft) aufeinander ausüben, die immer anziehend wirkt. Die Gravitationskraft ist umso größer, je mehr Masse die beteiligten Körper haben und je näher sie beieinander liegen. Die Kraft nimmt mit dem Quadrat der Entfernung der beiden Körper ab.

Newton'sches Gravitationsgesetz und Fluchtgeschwindigkeit

Gravitationsgesetz von Newton: Anziehungskraft FG zweier Körper mit den Massen m1 und m2 im Abstand r; G: Gravitationskonstante.
Fluchtgeschwindigkeit vFlucht eines sich radial von einem Zentralköper (Masse M, Radius R) entfernenden Körpers; Fluchtgeschwindigkeit ist unabängig von Masse des fliehenden Körpers!

Im Zusammenhang mit der Entstehung von Sternen aus Gaswolken ist eine spezielle Konsequenz des Gravitationsgesetzes wichtig: Um aus dem Gravitationsfeld eines Körpers zu entkommen, ist eine radiale (vom Zentrum des Körpers nach außen gerichtete) Mindestgeschwindigkeit notwendig (bei der Erde beträgt diese sog. Fluchtgeschwindigkeit ca. 11,2 m/s; so schnell müssen Raketen mindestens sein, um nicht zur Erde zurück zu fallen). Wichtig ist, dass die Fluchtgeschwindigkeit unabhängig von der Masse des fliehenden Körpers ist: egal ob eine Rakete oder ein Gasatom: die Fluchtgeschwindigkeit ist immer dieselbe!

Bisher haben wir uns mit den Grundlagen der Vorgänge am Anfang der Sternentstehung beschäftigt. Jetzt stehen zwei physikalische Grundkräfte im Vordergrund, die in der späteren Entwicklung eines Sterns und für das Verständnis der Kernfusion wichtig sind.

Elektrostatische Kraft zwischen Atomkernen

Bei einer Kernfusion verschmelzen die Kerne von Atomen miteinander und setzen dabei eine enorme Energie frei. Atomkerne sind elektrisch positiv geladen, denn sie enthalten Protonen, die eine positive Elementarladung tragen (ca. 1,6 * 10-19 C). Zur Erinnerung: Atomkerne bestehen im Allgemeinen aus positiv geladenen Protonen und elektrisch neutralen Neutronen. Nur das Wasserstoffatom besitzt kein Neutron, sondern ausschließlich ein Proton. Heliumkerne haben jeweils zwei Protonen und Neutronen, Kohlenstoffatome jeweils sechs, Sauerstoffatome jeweils acht etc.

Coulomb'sches Gesetz

Coulomb’sches Gesetz der elektrostatischen Anziehungs- bzw. Abstoßungskraft FCoulomb zweier elektrischer Ladungen (q1, q2) im Abstand r; ε0: Dielektrizitätskonstante. Anziehung bei ungleichen, Abstoßung bei gleichen Ladungsvorzeichen.

Elektrische Ladungen können generell positiv oder negativ sein. Sie können sich anziehen oder abstoßen: abstoßen, wenn die beiden Ladungen gleiches und anziehen, wenn sie ungleiches Vorzeichen haben. Atomkerne stoßen sich also aufgrund ihrer jeweils positiven Ladung ab. Und das nicht zu knapp!

Die elektrostatischen Kräfte werden durch das Coulomb’sche Gesetz beschrieben. Das Gesetz besagt, dass sich zwei Ladungen umso stärker anziehen bzw. abstoßen, je größer ihre Ladung und je kleiner ihr Abstand ist. Genauer: verkleinert sich der Abstand, steigt die Abstoßungs- bzw. Anziehungskraft quadratisch an.

Das Gesetz hat große Ähnlichkeit mit dem Newton’schen Gravitationsgesetz (gleiche Abstandabhängigkeit; statt der Masse taucht die Ladung der beiden Körper auf). Allerdings ist die Stärke der Kraft um viele Größenordnungen größer als die Gravitationskraft. Die Gravitationskraft zwischen zwei Protonen ist 36 (!) Größenordnungen schwächer als die Coulombkraft. Diese sehr starke abstoßende Kraft gilt es zu überwinden, wenn Atomkerne verschmelzen sollen. Und das Problem wird noch größer, wenn man bedenkt, dass sich Atomkerne näher als etwa 1 fm (Femtometer, 10-15 m) kommen müssen, um einen neuen Kern zu bilden. Denn das entspricht in etwa dem Durchmesser eines Atomkerns. Das bedeutet, dass man die Gewichtskraft von 2 Tafeln Schokolade aufbringen muss um ein einziges Protonenpaar auf Atomkerndurchmesser zusammen zu bringen!!! Die Tatsache, dass Atomkerne existieren und stabil sind, zeigt, dass es im Femtometer-Bereich eine Kraft geben muss, die die Bestandteile der Atomkerne zusammen hält und verhindert, dass die Protonen eines Kerns wieder auseinander fliegen.

Starke Kernkraft

Dies ist die sog. „Starke Kernkraft“, auch Starke Wechselwirkung genannt. Sie ist eine der 4 physikalischen Grundkräfte (Gravitation, Coulombkraft, schwache Kernkraft, starke Kernkraft). Sie wirkt bei Abständen im Bereich weniger fm sehr stark anziehend – stärker als die Coulombkraft abstoßend wirkt. Bei ca. 2,5 fm (2,5 * 10-15 m) sind Abstoßung durch Coulomb- und Anziehung durch Kernraft gleich groß. Bei größeren Abständen überwiegt die abstoßende Colombkraft, bei kleineren die anziehende Kernkraft. Schafft man es also, Protonen auf weniger als 2,5 fm anzunähern, kommt eine Bindung der Protonen zustande. Das Problem: man muss es trotz der Coulomb-Abstoßung erst mal auf diese extrem kleinen Abstände bringen! Wie das bei der Kernfusion geschieht, wird im vierten Teil dieser Beitragsreihe beschrieben.

Nachdem in diesem Beitrag wichtige physikalische Grundlagen der Sternentstehung vorgestellt wurden, geht es im nächsten Teil der Reihe um die Bedingungen, unter denen die Sternentstehung ihren Anfang nimmt.

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